06.04.2014

Also sprach das Volk

Von Ratbil Shamel-Ahang

In den letzten vierzig Jahren wurden in Afghanistan bestimmte Begriffe fast tagtäglich genutzt. Zu ihnen gehörten vor allem: Revolution, Widerstand, Volk, Krieg, Frieden und Helden. Seit gestern, seit dem das afghanische Volk trotz allen Gefahren und bei aller Ungewissheit der Zukunft massenhaft zu den Wahlurnen gegangen ist, kann man aus den obigen Begriffen endlich einen Satz bilden, der der Wahrheit vielleicht sehr nah kommt: Das Volk leistete heldenhaft Widerstand und revoltierte friedlich gegen den Krieg. Mit anderen Worten: die afghanischen Wähler haben eindeutig ihren Willen bekundet und ihre Wahl getroffen: Sie haben sich für Frieden statt Krieg, für Vielfalt statt Alleinherrschaft, für Demokratie statt von Menschen gemachte Theokratie oder ideologische Diktatur, für Anteilnahme der Frauen an politischen Entscheidungsprozessen statt Unterdrückung des anderen Geschlechts, kurz für eine moderne Gesellschaft mit Zukunft statt mittelalterliche Vorstellungen und Praktiken entschieden.

Nun wussten bestimmt viele, die ihre Finger blau gefärbt haben gar nicht über so politische Begriffe wie Demokratie, Wählerwillen oder Theokratie und ideologische Diktatur Bescheid. Doch sie wollten sich selbst und der Welt eine klare Botschaft senden. Die Botschaft lautet: „Wir Afghanen sind vielleicht nicht die modernsten und demokratischsten Menschen auf dieser Erde aber wir wollen ein friedliches und zivilisiertes Mitglied der großen internationalen Familie sein. Und dafür sind wir bereit unser Leben zu geben.“ Also sprach das afghanische Volk seinen Willen aus und leitete eine Zäsur in der politischen Kultur des eigenen Landes ein.

Man kann nun von einem afghanischen Frühling sprechen, doch das sollte man nicht. Der Frühling ist, wie wir es in den arabischen Ländern gesehen haben, von kurzer Dauer. Vielleicht kann man von einer afghanischen Revolution, vergleichbar mit der französischen Revolution sprechen? Warum nicht. Ein wahrhaft demokratischer Staat Afghanistan wird die islamische Welt sicherlich stark beeinflussen. Doch soweit sollte man gar nicht gehen. Es reicht aus, wenn wir feststellen, dass die Menschen in Afghanistan ihren Politikern und Eliten einen klaren Auftrag gegeben haben. Die Frage ist nun, wie werden die Verantwortlichen, die Einflussreichen im In- und Ausland mit diesem Auftrag umgehen? Wird die enorme Leistung, die die Behörden und die Sicherheitskräfte erbracht haben, honoriert? Akzeptiert und respektiert man den Willen des Volkes oder wird wieder einmal vorbei an den Menschen die wichtigsten Entscheidungen über ihr Schicksal getroffen? Die Antworten auf diese Fragen bleiben abzuwarten.

Der 16. Hamal (5. April) zeigte deutlich, dass das Volk ihren Eliten und Intellektuellen mehrere Schritte voraus ist. Nun kann man die Frage stellen, ob die Intellektuellen weiterhin dichtend sich über Begrifflichkeiten (Pohanton und Daneschgah) streiten oder mit dem eigenen Volk gleichziehen?