14.10.2015

Nadia Qani

Impulsreferat beim 14. Unternehmerinnentag am 14.10.2015

 

 

Sehr geehrter Herr Staatsminister Al Wazir,

sehr geehrte Frau  Christiane Stapp-Osterod,

meine sehr verehrten Damen und Herren!

 

Es ist mir eine große Freude, über das Thema „Als Unternehmerin Vielfalt prägen “ zu Ihnen sprechen zu dürfen. Als Unternehmerin mit Migrationsgeschichte in der internationalen Stadt Frankfurt am Main war und ist Vielfalt ein fester Bestand meines privaten und beruflichen Lebens. Dass ich heute als Unternehmerin vor Ihnen stehe, habe ich der Vielfalt, ja der Wertschätzung von Vielfalt zu verdanken, die hier in Frankfurt ganz besonders stark ist.

 

Wie Sie wissen, gibt es zahlreiche Regeln und Dokumente, die der Vielfalt Anerkennung und Wertschätzung Ausdruck verleihen, nicht zuletzt die Charta der Vielfalt, die viele Institutionen und Einrichtungen bereits unterzeichnet haben.

Das Thema Wertschätzung lebt aber sicher nicht allein durch Paragraphen und Vorschriften. Das sind wir alle, die die Vielfalt organisieren und gedeihen lassen, um davon diejenigen teilhaben zu lassen, die es angeht, nämlich die Bürgerinnen und Bürger, das Gemeinwohl.

Ich möchte mich meinem Vortragsthema anhand meines eigenen Lebenswegs annähern, Ihnen einige Einblicke in meine Unternehmensphilosophie geben und diese mit einigen Impulsen für die Diskussionen in den Foren abschließen.

Anrede,

Mit einer einzigen Tasche in der Hand kam ich hier an. Ich war 19 Jahre alt, war aus Afghanistan vor den russischen Besatzungstruppen geflohen und besaß weder deutsche Sprachkenntnisse, noch konnte ich mit meiner afghanischen Ausbildung in Deutschland etwas anfangen. Ich hatte mit der Heimat zugleich meine Familie, alle Freunde und hilfreichen Kontakte, meinen gesamten Besitz hinter mir gelassen und startete von „Null“ an.

Als ich  nach Deutschland kam, übernahm ich jeden Job, damit wir hier in Frankfurt leben konnten: ich bot Babysitten an, füllte Supermarktregale auf, ging als Putzfrau arbeiten und war als Kassiererin in einem Supermarkt tätig.

Später – inzwischen war mein zweiter Sohn geboren – wurde ich Pflegehelferin und traf auf die ersten Patienten mit Migrationshintergrund. Ich erkannte damals schon, dass Menschen mit einer anderen Muttersprache im Alter die deutsche Sprache wieder vergessen, sofern sie diese jemals beherrschten.

Daraus, aus den Erfahrungen meiner ersten Firmengründung QR Glas- und Gebäudereinigung Nadia Qani Meisterbetrieb – und aus meinen eigenen Erfahrungen als junge Frau im fremden Land – entstand die Idee für einen kultursensiblen Pflegedienst mit muttersprachlicher Betreuung.

Mein Lebenslauf hatte also viele Höhen und Tiefen. Eins hat mir aber in all den Jahren Kraft gegeben: Der tiefe Glaube daran, dass ich mit Beharrlichkeit und Leidenschaft zu dem was ich tue, stets einen Weg finde, um Herausforderungen zu meistern.

So kann ich heute sagen: Ja, ich bin sicher, dass sich Leistung lohnt! Allerdings nicht in einem nur auf materiellen „Lohn“ verkürzten Sinn.

Wer gute Leistungen erbringen will, braucht eine gute Ausbildung, Leidenschaft zur Sache, ja auch Herzensbildung. Dann erst kann eine junge Frau oder ein junger Mann im Beruf erfolgreich sein, Geld verdienen – aber auch in der Familie, in der Gesellschaft und für Mitmenschen etwas leisten.

 

Als Unternehmerin ist es mir sehr wichtig, einen attraktiven Arbeitsplatz zu bieten, um gut qualifizierte Menschen anzusprechen. Es liegt mir am Herzen, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass Menschen in meinem Unternehmen eine berufliche Heimat finden.

 

Ich fühle mich aber auch der Förderung von Vielfalt im doppelten Sinne verpflichtet: Zum einen ist es mir wichtig, meinem internationalen Team gute Fortbildungsmöglichkeiten zu bieten. Zum anderen lasse ich diese Erkenntnisse wiederum den auch international zusammengesetzten Pflegebedürftigen zugutekommen.

 

Meine Damen und Herren,

für mich persönlich dient das Diversität-Management daher nicht der Imagepflege, es war ist und das Herzstück meiner Unternehmensphilosophie. Vielfalt und der Umgang damit hatte mein Leben bereits im Vielvölkerstaat Afghanistan geprägt.

 

Im Vordergrund steht dabei für mich immer Leistung, wobei ich die Interessen meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht von jenen meines Unternehmens getrennt betrachte.

 

Meines Erachtens ist eine klare und positive Orientierung an Leistungskriterien bereits Voraussetzung für schulische Bildung und berufliche Ausbildung. Auch wenn es für manche provokativ klingen mag: Leistungsbezogene Bildung ist sozial weniger selektiv als die Einstellung, jede und jeden nach seinem Gutdünken ohne ein klares, leitendes Konzept lernen zu lassen. Zurückhaltung bei der Forderung nach Leistung kann gerade jenen die Ermutigung entziehen, die sie am meisten benötigen.

 

Für mich als deutsche Staatsbürgerin afghanischer Herkunft, haben „Bildung“ und „Leistung“ aus ganz persönlichen Gründen eine herausragende Bedeutung.

Denn: Die Taliban-Diktatur unterdrückte nicht nur Andersdenkende, sondern vor allem Frauen. Sie waren im besonderen Maße von der Bildungs- und Leistungsfeindlichkeit betroffen.

 

Ich darf an dieser Stelle anmerken, dass auch hier in Deutschland – inmitten von demokratischer Weltoffenheit und Wohlstand – es nicht immer einfach war, Fuß zu fassen. Mir gelang der Durchbruch, weil ich an sieben Tagen in der Woche hart gearbeitet habe. Aber ich habe auch Unterstützung von vielen Menschen erfahren, ohne deren Hilfe mein Weiterkommen so nicht möglich gewesen wäre.

 

An dieser Stelle möchte ich Allen, die mich so unterstützt haben, von ganzem Herzen danken!

 

Auch wenn es teilweise Gegenwind gibt und Migrantinnen und Migranten nicht jedem gleich willkommen sind: Hier in Frankfurt am Main ermöglichte ein Klima von Toleranz und Mitmenschlichkeit (wie man in der aktuellen Flüchtlingssituation erleben kann), dass ich ein erfolgreiches Unternehmen aufbauen konnte.

è Dabei war und ist ein wichtiger Erfolgsfaktor die Wertschätzung für die Menschen in meinem Unternehmen und auch die Wertschätzung durch die Öffentlichkeit.

 

Heute kann ich mit meinem „Ambulanten Pflegedienst AHP“ nun meinerseits Menschen, die Hilfe benötigen, zur Seite stehen. Immer wieder freue ich mich, wenn es mir gelingt, etwas von dem weiter zu geben, was ich erhalten habe. Besonders stolz macht es mich, dass ich mit AHP soziales Engagement und wirtschaftlichen Erfolg in Einklang bringen kann: In der täglichen Arbeit mit Menschen für Menschen kann ich das Motto „Wertschöpfung durch Wertschätzung“ umsetzen.

è Dies zeichnet mein Geschäftsmodell aus und macht mein Unternehmen im Wettbewerb stark!

 

An dieser Stelle möchte ich mich bei meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedanken. Dass ich heute hier stehe und zu Ihnen sprechen darf, ist vor allem dem hohen Einsatz meines Teams zu verdanken. Ohne das tägliche überragende Engagement könnte ich unsere Ziele nicht so stringent verfolgen.

 

Der Ambulante Pflegedienst AHP wurde 1993 gegründet und gibt inzwischen rund 50 Menschen Arbeit. Nur etwa die Hälfte meines Teams ist deutscher Herkunft, die andere Hälfte kommt aus vielen Teilen dieser Erde. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betreuen Menschen muttersprachlich in mehr als einem Dutzend Sprachen, und sie bringen Verständnis für die Herkunftskulturen ihrer Patienten mit. Infolge dieser Spezialisierung sind auch unsere Kunden nur zu etwa 60% in Deutschland geboren.

è Eine gelebte Vielfalt zeichnet unsere Unternehmenskultur aus!

Weil ich aus eigener Erfahrung weiß, wie wichtig die deutsche Sprache für Menschen ist, die hier leben und arbeiten wollen, schicke ich alle Mitarbeiter/-innen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, zunächst in einen Sprachkurs. Dieser wurde von der Initiative beramí speziell nach unseren Anforderungen entwickelt. Außerdem bilden wir aktuell sechs junge Menschen zu Krankenpflegern, einen Kaufmann im Gesundheitswesen aus und haben eine Praktikantin.

è Hier geht es mir explizit um die Unterstützung der Menschen in meinem Unternehmen und gleichzeitig gehört dies zu meiner Strategie einer nachhaltigen Personalentwicklung!

 

Wann immer möglich, stelle ich ältere Menschen ein, die auf dem Arbeitsmarkt derzeit kaum Chancen haben, obgleich sie so unschätzbare Berufs- und Lebenserfahrung mitbringen.

Kurzum: Ich versuche die Menschen da abzuholen, wo sie stehen, damit sie ihren individuellen Beitrag (für die Gesellschaft, in der sie leben) entwickeln und auch leisten können. Dies gilt sowohl für die Pflegebedürftigen als auch für das Mitarbeiter/-innen Team.
Allerdings muss ich auch anmerken, dass eine adäquate Entlohnung der Pflegeleistungen bis heute immer noch nicht gegeben ist.

Wie war es möglich, dieses Unternehmen aufzubauen?

Einen Teil meiner Fähigkeiten brachte ich bereits aus Afghanistan mit. Im Lycée Jamhuriat (Wirtschafts-Gymnasium)  wurden mir in Kabul von deutschen Lehrern die Grundkenntnisse der Wirtschaft und die Vorzüge disziplinierten Lernens sehr erfolgreich vermittelt.

In Deutschland war (neben der oben erwähnten Hilfsarbeiten) zunächst die Sprachschule der nächste Baustein in meinem Lebensweg. Zielsetzung hatte immer die höchste Priorität in meinem Leben. Mein wichtigstes Ziel war immer, ein Zuhause für unsere Familie aufzubauen. Weiterhin erkannte ich schnell, dass auch andere Menschen – darunter auch deutsche Familien – meine Hilfe brauchten. Dies konnte ich im ehrenamtlichen Engagement bei Frankfurter Kirchengemeinden, bei Vereinen und vor allem im Asylantenheimen erfahren. Diese Hilfestellungen gebe ich heute, angesichts der neuen Flüchtlingsströme, wieder gerne weiter.

 

Was hat mir noch sehr geholfen?

è Damals wie heute sind Kontakte und ein stetig wachsendes Netzwerk unglaublich wichtig.

Immer wieder traf ich auf Menschen die bereit waren mir neue Kenntnisse zu vermitteln und die mir Verantwortung übertrugen. So habe ich beispielsweise als kaufmännische Sachbearbeiterin beim Hartmannbund Verband der Ärzte Deutschland Landesverband Hessen sehr viel für spätere Projekte gelernt.

Das Fortkommen von Frauen fokussierte ich explizit in dem von mir gegründeten Vereins ZAN. Mit der Gründung des gemeinnützigen Vereins ZAN – das ist der persische Begriff für Frau – setzte ich mich für die Rechte afghanischer und muslimischer Frauen, aber auch Männer sowie insgesamt traumatisieren Flüchtlinge in Hessen ein. Eine von ZAN entwickelte Musiktherapie mit landestypischer Musik hat bei den Menschen bereit große Resonanz gefunden.

 

è Wie Sie sehen, die Arbeit mit und für Flüchtlinge durchzieht mein Leben bis heute wie ein roter Faden!

 

Bereits seit längerem werde ich auf meinem Weg auch in der Öffentlichkeit bestätigt. So wurde mir im Jahre 2004 der „Erste Wirtschaftspreis“ „Together in Hessen“ verliehen. Im Folgejahr war ich – die ich mich in dieser Stadt inzwischen so heimisch fühlte – „Frankfurterin des Jahres“. 2008 errang AHP den 15. Platz bei „Best Place to Work“, dem bundesweiten Ranking für Unternehmen im Gesundheitswesen. 2009 erhielt ich das Bundesverdienstkreuz.

è Diese Anerkennungen für Qualitätsmanagement sind Anspruch, Ansporn und Verpflichtung zugleich, noch mehr zu leisten und in der interkulturellen Vermittlung noch mehr zu bewirken!

 

Nach meiner Erfahrung kommt aus dem Einsatz für die gute Sache auf lange Sicht ein Vielfaches zurück. Auch aus diesem Grund erlaube ich mir, die aktuelle Situation vieler Flüchtlinge aus Afghanistan und anderswo noch einmal zur Sprache zu bringen.

 

Viele jungen Menschen, die in Hessen angekommen sind, wollen arbeiten und am sozialen und wirtschaftlichen Leben teilhaben. Ich werbe bei den Menschen, die zu uns gekommen sind, um die Bereitschaft Praktika und Ausbildungsplätze anzunehmen.

Wäre es nicht wunderbar, wenn es mir gelänge, Sie – meine Zuhörerinnen und Zuhörer – als Ausbilder/-innen, Partnerinnen und Partner für soziale Projekte, womöglich sogar als Paten zu gewinnen, etwa indem Sie die jungen Menschen in ihr Unternehmen z. B. für ein Praktikum einladen würden?

Es wäre großartig, wenn die Neuankömmlinge hier sehen können, wie sich Arbeit organisieren lässt und wie sie sich und ihre Familien ernähren könnten.

Ich freue mich, wenn Sie bei Interesse, Ihre Kontaktdaten am Empfang hinterlassen, damit ich auf Sie zukommen kann. 

So könnten die Menschen, die zu uns gekommen sind, ihren Beitrag zum gesellschaftlichen Miteinander in unserem Land leisten.

Zum Schluss möchte ich Ihnen noch einen Gedanken mitgeben, der ebenso im Wirtschaftsleben gilt, wie beim Umgang mit Menschen, und der meine eigenen Erfahrungen widerspiegelt:

Nicht das, was wir zu wissen glauben wird uns wettbewerbsfähig halten - einen Vorsprung in dieser sich ständig verändernden Welt verschafft uns einzig unsere Fähigkeit, auf Neues zu reagieren und uns ständig zu wandeln und an neuen Zielen zu arbeiten.

è Mit anderen Worten: Es geht um Vielfalt & Wirtschaftsfaktor Mensch durch Wertschätzung und Offenheit!

 

Was meine ich mit „Wirtschaft durch Wertschöpfung und Wertschätzung“? Dahinter steckt der Gedanke, dass Deutschland nur dann im globalen Wettbewerb bestehen kann, wenn der Mensch im Mittelpunkt steht. Unternehmen sind keine abstrakten Gebilde und die Marktwirtschaft ist kein absolutes System. Beide werden von Menschen gemacht und können nur funktionieren, wenn Menschen von verschiedenen Kulturen darin ihren Platz finden. So ist eine moderne Wirtschaftspolitik, dass die Wirtschaft wieder sozial und die Unternehmer/-innen wieder demokratischer werden. Meine Aussage ist hier wenn Sie so wollen: Eine Kultur der Teilhabe & ein partizipativer Führungsstil sind dafür Erfolgsgarant!

è Darin sehe ich im Übrigen gute Schlüsselkompetenzen gerade bei Unternehmerinnen!

  Wir brauchen noch mehr Initiativen, die besonders nachhaltig in Bildung, Ausbildung und Weiterbildung investieren, da dies einen Grundstein für eine gute Zukunft legt.

 

Meine Damen und Herren, (Anrede)

 

ich hoffe, es ist mir gelungen, darzulegen, dass das Kernstück meiner Unternehmensphilosophie die gelebte Vielfalt ist. Wo Programme zur Sicherung und Nutzung von Vielfalt aufgelegt werden, ist AHP aus der Idee der Vielfalt zu dienen und Vielfalt im Interesse der Vielfalt selbst zu nutzen entstanden.

 

Zum Schluss darf ich allen Entscheiderinnen/Entscheidern mit auf den Weg geben: Wenn man Diversität wirklich leben will, wenn man will, dass sie beherzigt und authentisch weitergetragen wird, dann muss man sehr viele Menschen in den unterschiedlichen Statusgruppen der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft mitnehmen!

 

Meinen Vortrag möchte ich mit einem Zitat von Aristoteles schließen, der sagte: „Es gibt Dinge, die wir lernen müssen, bevor wir sie tun können. Und wir lernen sie, indem wir sie tun.“

 

Ich danke Ihnen für Ihr Interesse, Ihre Aufmerksamkeit und Ihre Geduld!